altes vinyl 7.3.13, beatles/working class hero

Gegen die Abzockerei haben die Stimmberechtigten in der Schweiz ihre Stimme erhoben. Gut so! Auf die Umsetzung der Forderungen und die dabei fast zwangsläufig entstehenden Gesetzeslücken sind wir gespannt.

Vielleicht liegt ja das Problem tiefer; womöglich in der grundsätzlichen Einstellung zur Arbeit und deren Bezahlung. Der Arbeit wird ein sehr hoher Stellenwert zugeschrieben. Der arbeitende Mensch definiert sich anhand seiner Stellung am Arbeitsplatz. An der Party erzählt man sich was „man so macht“. Und dabei spielt meistens der Berufsalltag eine grössere Rolle als das Hobby.

Doch eigentlich versucht der Mensch – seit Menschengedenken – sich die Mühen des Alltags, den Broterwerb, zu erleichtern. Einige Jahrhunderte der Entwicklung von Maschinen und Apparaturen sind vergangen, doch der Mensch ist immer stärker in den Arbeitsprozess eingebunden und wird überbeansprucht. Wer heute nicht einen „Burnout“ in seinem Lebenslauf vorweisen kann, mit dem stimmt was nicht.

Es scheint fast so, als hätte die Gesellschaft als Ganzes gar kein Interesse daran, dem einzelnen Menschen zu viel Freiraum zu gewähren. Vielleicht ist es sogar besser, der Mensch denkt nicht zu viel nach, sondern arbeitet fleissig bis zu seinem Rentenalter. Danach wird er wahrscheinlich nicht mehr viel Schaden anrichten…

Da gab es doch  diesen Song aus den 70er Jahren…  “Working Class Hero” hiess der, von John Lennon geschrieben.  Hab ihn mir aus meiner Plattensammlung rausgesucht und versucht, dem Text zu folgen:

Held der Arbeit
Vom Zeitpunkt deiner Geburt an erniedrigen sie dich.
Nehmen sich keine Zeit für dich, obwohl du sie brauchst.
Bis dann der Schmerz so gross ist, dass du gar nichts mehr fühlst.
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Zu Hause quälen sie dich, und in der Schule schlagen sie dich.
Bist du clever, hassen sie dich, bist du ein Narr, verachten sie dich.
Solange, bis du verrückt bist und nicht mehr weisst, was das soll.
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Haben sie dich zwanzig Jahre gequält und geängstigt, verlangen sie von dir, deine Karriere zu planen.
Doch vor lauter Angst funktionierst du nicht mehr.
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Sie halten dich unter Drogen mit Religion, Sex und TV.
Und du denkst, du seist clever und frei in einer klassenlosen Gesellschaft.
Doch soweit ich es sehen kann, bist du nichts als ein betrogener Handlanger.
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Oben an der Spitze hat es noch Plätze frei, sagen sie dir.
Doch zuerst musst du lernen zu lächeln, während du andere fertig machst.
Wenn du denn so sein möchtest, wie die dort oben.
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Sei ein Held der Arbeit; das ist doch was!
Willst du aber ein wirklicher Held sein, dann folge mir!
Willst du aber ein wirklicher Held sein, dann folge mir!
John Lennon © Northern Songs LTD

Ziemlich extreme Beschreibung der Situation, aber so waren sie, die 70er-Jahre. Alles mehr oder weniger auf Revolution, Aufbruch, Veränderung ausgerichtet.

Wem wir wohin folgen sollen, um wirkliche Helden zu sein, bleibt in diesem Song von John Lennon offen. Bestimmt sollten wir uns aber davor hüten, uns voll und ganz einem wirtschaftlichen System hinzugeben, das uns früher oder später als nutzlosen Ballast ansehen wird. Vielleicht empfinden wir uns in unserer beruflichen Situation auch nicht so extrem ausgebeutet, wie im Lied beschrieben wird. Trotzdem dürfen wir den eigentlichen Lebenszweck nicht aus den Augen verlieren. Unsere Arbeit spielt in unseren Leben nicht die Hauptrolle.

Was ist dann der Zweck des Lebens? Eine Frage, die bestimmt grundsätzlich verschiedene Antworten hervorbringt, je nach Überzeugung, Glauben, Wertesystem oder Weltbild des Antwortenden. Materialisten, Spiritualisten, Altruisten, Egoisten, Hedonisten, Pessimisten, Optimisten – um nur ein paar wenige zu nennen – definieren den Lebenszweck bestimmt unterschiedlich. Doch eines haben die meisten gemeinsam: Wie auch der Lebenszweck definiert wird, die Menschen verbringen den grössten Teil ihrer Zeit mit Arbeit. Wie auch immer das Weltbild, das Wertesystem, der Glaube des Einzelnen aussehen mag, unser Wirtschaftssystem fordert zur Arbeit auf. Und diese Arbeit nimmt so viel Platz im Leben ein, dass sie den Einzelnen nachhaltig beeinflusst. Arbeit hatte in der Geschichte nicht immer einen so hohen Stellenwert wie heute. Dies zeigt der nachfolgende Artikel aus der NZZ vom 30. April 03 von Sieglinde Geisel.

Die einzig verbliebene Gottheit?

Über Arbeitslosigkeit im Zeitalter der Arbeit

Die Erlösung von der Arbeit ist ein uralter Menschheitstraum. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit jedoch wird daraus ein Albtraum. Ist Arbeit als Instanz der Sinngebung unersetzbar – oder kann der moderne Mensch auch ohne Arbeit glücklich sein?

Die Arbeit hatte in der Menschheitsgeschichte lange keinen guten Ruf. In der biblischen Schöpfungsgeschichte wurde sie als Fluch über die Menschheit verhängt. In der Antike und im Mittelalter gehörte es zum Vorrecht der Oberschicht, von der Arbeit ausgenommen zu sein und sich «freien» Tätigkeiten wie der Politik, der Musse und dem Kriegshandwerk zu widmen. Schon Aristoteles träumte von der Abschaffung der Arbeit durch Automatisierung: «Wenn jedes Werkzeug auf Geheiss oder auch vorausahnend das ihm zukommende Werk verrichten könnte, (…) wenn so die Weberschiffchen von selbst webten, so bedürfte es weder des Werkmeisters der Gehilfen noch der Herren der Sklaven.»

Zu den Bedeutungen des mittelhochdeutschen Worts «arebeit» gehören noch Mühsal, Plage, Not. Erst im Zug der Reformation gewinnt die Arbeit an Status, wie Max Weber in seiner berühmten Studie «Die protestantische Ethik und der «Geist des Kapitalismus» (1904/05) darlegte. Das ursprünglich religiös gefärbte Wort «Beruf» verdanken wir Luthers Bibelübersetzung: Die Arbeit hat sich vom unmittelbaren Zweck, das Überleben zu sichern, gelöst; sie ist Berufung, geschieht also zu Ehren und im Auftrag Gottes. Die Arbeit selbst bewirkt zwar noch keine Erlösung, aber sie ist Zeichen des Gnadenstandes – die Faulheit dagegen zeigt den Verlust des göttlichen Wohlgefallens an.

Moralisierung der Arbeit

In der Moderne ist die Religion aus dem öffentlichen Leben zusehends verschwunden – geblieben jedoch ist die protestantische Arbeitspflicht. Seit sie sich von ihrem höheren Sinn gelöst hat, ist sie selbst zum Sinn geworden. «Arbeit hat sich zur Utopie gemausert; jenseits ihrer ist kein Versprechen mehr», schreibt der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank in seinem 1995 erschienenen Buch «Arbeit – die Religion des 20. Jahrhunderts». Arbeit sei zur Lust geworden, für manche gar zur Sucht.

Was für seelische Folgen hat die Heiligsprechung der Arbeit um der Arbeit willen? Man sieht es vor allem dann, wenn die Arbeit fehlt: Selbst wenn die materielle Not durch Sozialsysteme gemildert wird, ist Arbeitslosigkeit ein unerträglicher Zustand.

Arbeit scheint also einen gewissen Zusammenhang mit Religion zu haben. Auch in alten religiösen Schriften Indiens, wie zum Beispiel der Bhagavad-gita (Bg), wird der Zweck der Arbeit erklärt.

Jeder ist gezwungen, hilflos nach den Drängen zu handeln, die von den Erscheinungsweisen der materiellen Natur hervorgerufen werden; deshalb kann niemand auch nur für einen Augenblick aufhören, etwas zu tun (Bg 3.5).

Erfülle deine vorgeschriebene Pflicht, denn dies zu tun ist besser, als untätig zu sein. Ohne Arbeit kann man nicht einmal seinen physischen Körper erhalten (Bg 3.8).

Man muss seine Arbeit Visnu als Opfer darbringen, denn sonst wird man durch sie an die materielle Welt gebunden. O Arjuna, erfülle daher deine vorgeschriebenen Pflichten zu Seiner Zufriedenstellung; auf diese Weise wirst du immer frei von Bindung bleiben (Bg 3.9).

Am Anfang der Schöpfung brachte der Herr aller Geschöpfe Generationen von Menschen und Halbgöttern hervor, zusammen mit Opfergaben für Visnu, und segnete sie, indem Er sprach: “Möget ihr durch diese Opfergaben glücklich werden, denn ihre Durchführung wird euch alles gewähren, was wünschenswert ist, um glücklich zu leben und Befreiung zu erlangen.” (Bg 3.10).

Wenn die Halbgötter durch Opfergaben zufriedengestellt sind, werden sie auch euch erfreuen, und wenn auf diese Weise die Menschen mit den Halbgöttern zusammenarbeiten, wird Wohlstand für alle herrschen (Bg 3.11).

Die Halbgötter, die für die verschiedenen Notwendigkeiten des Lebens verantwortlich sind, werden euch mit allem versorgen, was ihr braucht, wenn sie durch eure Opfergaben zufriedengestellt werden. Wer jedoch diese Gaben geniesst, ohne sie zuvor den Halbgöttern als Opfergaben darzubringen, ist gewiss ein Dieb (Bg 3.12).

Daher sollte man aus Pflichtgefühl handeln, ohne an den Früchten der Tätigkeiten zu haften; denn wenn man ohne Anhaftung tätig ist, erreicht man das Höchste (Bg 3.1).

Arbeit ist also nicht der Sinnspender des Lebens, sondern eine Pflicht, die getan werden soll – ohne Anhaftung an das Resultat. Der Lebenszweck liegt demzufolge in der Loslösung von dieser Welt, nicht in Tätigkeiten, die uns an diese Welt binden. Und der Wohlstand, um ein angenehmes Leben führen zu können, kommt – gemäss den Aussagen der Bhagavad-gita – nicht von Arbeit und Wirtschaft, sondern von den Halbgöttern und den entsprechend dargebrachten Opfergaben. Dies klingt vielleicht rückständig und abergläubisch, aber der Glaube an die Wirtschaft ist oftmals ebenso abergläubisch – oder zumindest infantil –, wie es Fredmund Malik in einem Interview nennt, das in der Weltwoche vor mehr als zehn Jahren erschienen ist, und noch immer aktuell ist. Fredmund Malik ist Titularprofessor an der Universität St. Gallen und Verwaltungsratspräsident der Management-Zentrum St. Gallen AG. Er hat seit Beginn der 90er Jahre vor den Fehlentwicklungen in der Wirtschaft gewarnt.

«Infantiler Glaube»

Herr Malik, die Unternehmenslandschaft im In- und Ausland gleicht einem Schlachtfeld. Erleben wir das Ende einer Epoche?
Zweifellos. Hinter uns liegt eine Zeit der Hybris, des Grössenwahns, der Anmassung, des Bluffs, der Hochstapelei und der kriminellen Machenschaften.

Warum sind so viele vermeintlich hochkarätige Manager gestolpert?
Sie haben an Irrlehren geglaubt, von denen in den 90er Jahren mehr entstanden sind als in den davor liegenden 300 Jahren zusammen. Die gravierendste war die vom Shareholder-Value. Sie hat viele Manager angestiftet, die Gewinne bis hin zur Bilanzfälschung zu schönen und sich auf Kosten ihrer Firmen zu bereichern. Andere haben dem Druck von Finanzanalysten, Medien und Zeitgeist nachgegeben und – nicht selten wider besseres Wissen – Dinge riskiert, die sich nun bitter rächen.

Welche Fehler wurden begangen?
Jeder amerikanische Unfug – Wertsteigerungsdogma, Quartalsorientierung, New Economy, Stock-Options, Rechnungslegungsvorstellungen, finanzwirtschaftliche Eindimensionalität – wurde unkritisch übernommen. Dazu kommt
die auch hierzulande massiv stärker gewordene Tendenz zum Personenkult. Viele Manager sind anfällig für Heroisierung, Idealisierung und die Schmeicheleien der Medien. Einige haben einfach die falschen Berater gehabt und diesen blind vertraut.
Es gab schon früher irrwitzige Wachstumsstrategien, ohne dass zwischen Grösse und Stärke eines Unternehmens unterschieden wurde, und den infantilen Glauben, dass diesmal alles ganz anders sei.

Die Stars unter den CEOs sind oft nicht leicht zu führen.
Ich halte das geltende Berufsbild des CEO für gescheitert, weil es die falschen Leute in die obersten Positionen bringt, weil es die Verwaltungsräte dazu verleitet, Universalgenies zu suchen, statt sich auf gut funktionierende Teams zu konzentrieren, und weil es dem Personenkult Vorschub leistet. Es hat sich eine Tendenz zur absolutistisch monarchischen Führung etabliert, ohne dass die hiefür unerlässliche Verantwortung und Haftung etabliert wird, wie sie etwa für den Eigentümer-Unternehmer unausweichlich ist.
Vermutlich wird das zu neuen Formen der Wirtschaftsfeindlichkeit führen und zum weitgehenden Verlust der Glaubwürdigkeit der Wirtschaftsführer. Es wird lange dauern, bis das Vertrauen wieder zurückkehrt. (rs)

So wird gemäss Malik in der Wirtschaft an Irrlehren aus den 90er Jahren geglaubt und mit religiösem Eifer befolgt – zum Schaden der Arbeitnehmer. An die Stelle der Halbgötter ist der Shareholder-Value gerückt, dem nun “Opfergaben” in Form von Stellenabbau und Lohnkürzungen dargebracht werden. Auch eine Art von Aberglaube. Malik schlägt deshalb vor, von der Zweckentfremdung der Wirtschaft und der Arbeit – wo nur noch Börsenwerte gelten – Abstand zu nehmen und zum eigentlichen Zweck zurückzufinden, nämlich der Herstellung von Gütern, die gebraucht – oder zumindest gewünscht – werden.

Zweckentfremdung führt über kurz oder lang wohl immer zu Problemen. Bleibt die Frage, wo die schädliche Zweckentfremdung beginnt.